Spotcheck: Trailscouting auf Sardinien

Im letzten Heft waren wir mit WhereTheTrailBegins.com in Andorra. Diesmal haben uns die Jungs zu einem Erstbesuch mitgenommen, und zwar nach Sardinien. Würde es dort anständige Trails und eine Bike­Infrastruktur geben? Und wie entsteht sowasüberhaupt, eine Bike­Reise? Eine spannende Erfahrung!

Sardinien, Insel der Surfer und Camper – würde man hier auch Trails und eine Infrastruktur für Biker finden? Um das heraus zu finden waren wir mit Martin von WhereTheTrailBegins.com am Flughafen von Olbia verabredet, einem der Einfallstore in dieses Inselparadies. Aber erst einmal hieß es in Deutschland: Koffer packen, Bike verpacken und so viel wie möglich in die EVOC Biketasche packen. Schmuggeln leicht gemacht (auch wenn in Felix’ Tasche nur Reifen, Tubelessmilch und Kleinkram zu finden gewesen wäre)! Egal ob mit welcher Luftfahrt-Gesellschaft, nach Sardinien kommt man so schnell wie günstig. Bisher war uns die Insel aber wirklich eher als klassische Urlaubsinsel bekannt, ohne Bezug zum Radfahren. Martin hatte allerdings große Pläne und so fachsimpelten wir, im herrlich warmen Olbia gelandet und im Vollbesitz unseres Gepäcks, im Auto über mögliche Touren und die Voraussetzungen, hier einen Bike-Urlaub zu etablieren.

WhereTheTrailBegins.com ist Teil eines größeren Reiseveranstalters, der viele Jahre Erfahrung mit Reisen aller Art hat. Die Jungs wissen, wie der Hase läuft, was wichtig ist und was man vor Ort braucht, um einen erfolgreichen, angenehmen und vor allem reibungslosen Reiseverlauf zu gewährleisten. „Das Wichtigste“, erklärte Martin, während er unser Mietauto über die gewundenen Inselstraßen dirigierte, „sind die Partner vor Ort! Wir müssen uns auf sie verlassen können, damit unsere Gäste auch eine gute Zeit haben.“ Was klar klingt, ist alles andere als selbstverständlich: wer schon einmal vor einem Hotel stand, dessen Rezeption nicht besetzt war oder vom Vermieter des designierten Mietwagens gesagt bekommt, dass nichts frei ist, wird diese Frustration kennen, die nicht mit Urlaub zu tun hat und die man als Reiseveranstalter natürlich peinlichst vermeiden möchte.

Die mediterrane Sonne streichelte unsere deutschen Seelen, als wir uns unserem Ziel im Norden der Insel näherten, einem kleinen Örtchen namens Tempio Pausania. Ganz anders als das klassische Bilder der Insel findet sich im Hinterland deutlich mehr Bewuchs, will sagen: Wald! Knorrige und sich in den klaren italienischen Himmel reckende Korkeichen mit ihrer zerklüfteten und weichen Rinde, die regelmäßig abgeschält wird und die Bäume wie geschorene Schafe wirken lässt. Hier gibt es noch viel Platz, die Gegend ist nicht annähernd so touristisch bedient wie die Küstenregionen und man kann hier, wie wir später herausfinden sollten, stundenlang mit dem Bike über abgeschiedene Wege gondeln, ohne von anderen Menschen gestört zu werden. Ende September war die Sonne nicht mehr so biestig, wie man sie zur Sommerzeit kennt, sondern sanft und angenehm. Sardinien selbst ist mit 24.089 Quadratkilometern die zweitgrößte Insel im Mittelmeer und hat mit etwas über 1,5 Millionen Menschen etwa so viele Einwohner wie München. Das Klima ist lagebedingt mediterran und, wenn man sich etwas zusammenreißt, kann man hier das ganze Jahr über Radfahren, Wandern oder Surfen. Die Winter sind mild, in Höhenlagen fällt aber dennoch Schnee: im zentralen Gebirgsrücken finden sich Gipfel bis über 1.800 m Höhe, direkt bei Tempio erhebt sich der Monte Limbara mit einer Krone aus Radar- und Mobilfunkantennen sowie einer ausgedienten Stationierung der US Airforce. Die Sarden sind, soweit wir das bisher feststellen durften, ein gastfreundliches und offenes Volk und dem Tourismus gegenüber mehr als offen. Man hat früh erkannt, dass ohne nennenswerte Industrie das Geschäft mit uns Urlaubern am lohnenswertesten ist.

Womit wir beim Thema wären. WhereTheTrailBegins.com hat sich, wie wir im letzten Heft ja erleben durften, auf die Fahne geschrieben, Reisen in die besten Bike-Destinationen der Welt anzubieten. Kanada (als Rundreise zu den besten Trails und Parks in British Columbia oder als Einzelstation in Whistler) machte den Anfang, seit diesem Jahr gibt es noch die Reise nach Andorra, der Heimat von Cedric Gracia. Dort kann man sich aus vielen Daten das passende heraus suchen und in Vallnord eine gute Zeit haben. Sardinien wäre etwas völlig neues, da es hier bisher keine organisierten Bike-Reisen gibt. Ein Entwicklungsprojekt könnte man sagen, denn trotz der wunderschönen Natur und den üblichen Grundvoraussetzungen (genügend Höhenmeter zum Beispiel) gibt es hier nämlich wenig organisierten Sport-Tourismus. Shutteln? Schwierig. Guides? Meh. Man muss schon sehr genau suchen und am besten jemanden vor Ort kennen, damit das läuft. Zustände wie in Ligurien oder am Gardasee sucht man hier völlig vergeblich. Da die Jungs aber ihr Geld damit verdienen, genau solche Probleme zu lösen, hatten sie im Vorfeld zu unserem Scouting-Trip bereits ordentlich recherchiert und Kontakt zu Locals aufgenommen, befeuert von bestehenden Kontakten aus dem „klassischen“ Tourismus. So erwartete uns in Tempio ein Duo aus zwei Italienern gehobenen Alters. Einer ist Architekt, der andere Buchhalter. Sie verbindet die Liebe zum Radfahren und der unternehmerische Wille, etwas auf ihrer Insel zu bewirken. Bei (einigen Portionen) Bier und Pizza machten wir erste Pläne und zogen durch die wunderschöne Altstadt von Tempio, wo an diesem Samstag die Hölle los war, auch, weil am nächsten Tag ein lokales Downhill-Rennen steigen sollte. So waren die Bars voll mit jungen und gut gelaunten Menschen, eine Augenweide nicht nur aus sportlicher Sicht, wenn ihr versteht, was wir meinen…

Am nächsten Tag radelten wir von unserer Ferienwohnung zum nur wenige Kilometer entfernten Austragungsort des Downhill-Rennens, das eine Art lokale Meisterschaft darstellte. Hatten wir nicht viel erwartet, wurden wir geradezu von der Fülle an Zuschauern und geparkten Autos erschlagen, die den kleinen Parkplatz, auf dem der Zieleinlauf der Strecke lag, zum Überquellen gebracht hatte. Wir liefen die Strecke ab und waren von der Härte ernsthaft überrascht: sowas würde auch in Deutschland absolut zum Austragen eines Rennens taugen! Die Jungs (Mädels sahen wir tatsächlich nicht auf dem Rad) gaben ordentlich Gas, manche zu sehr, was die bestens organisierten Sanitäter auf den Plan rief. Das Rennen war perfekt organisiert und am Ende sammelten sich alle an einer kleinen Kapelle, wo es Pasta und Grillgut von einer Farm direkt in der Nachbarschaft sowie die offizielle Preisverleihung gab. Die Atmosphäre war sehr familiär und wir hatten eher das Gefühl, auf einer großen Geburtstagsparty als auf der Siegerehrung eines Downhill-Rennens zu sein. Die Szene hier ist klein, aber sehr eng verbunden und äußerst motiviert! Am nächsten Tag hieß es dann für uns: Rauf auf’s Bike! Endlich! Mit dem zuvor erwähnten Italiener-Duo machten wir eine große Tour um Tempio und endeten schließlich auf der Downhill-Strecke, die es verdammt noch mal in sich hatte! Der Anspruch der Trails hier definiert sich weniger durch die Länge, als vielmehr durch Steilheit und Niveau des Geländes: teilweise hoppelten wir über Findlinge so groß wie Kleinwagen, ohne uns wirklich auf einem Trail zu fühlen. Das war schon ziemlich am Limit und Danny MacAskill hätte hier sicher seinen Spaß gehabt. Ob das aber was für normale Bike-Urlauber wäre?

Unsere nächste Station war ein Campingplatz im Norden von Olbia, wunderschön auf einer kleinen Halbinsel gelegen und mit einem Freizeitangebot von Segeln über Yoga bis Tauchkursen. Wir bezogen unsere Motorhomes und aßen mit Blick aufs Meer, bevor wir die Nacht hinter uns brachten. Am nächsten Morgen fuhren wir dann nach Olbia, wo wir unsere Bikes in einen Transporter zu denen unserer Begleiter warfen, um dann einen Berg in der Nähe hinauf zu ruckeln. Vorwarnung: wer instabile Nerven oder einen unruhigen Magen hat, sollte vorher nicht allzu viel essen. Am Gipfel war es ganz schön kalt, die Aussicht entschädigte dafür umso mehr. Vom Gipfel aus ging es über mehrere für ein Enduro-Rennen gebaute Trails ins Tal, zusammen mit dem Lokalmatador, einem jungen Italiener, der Motocross fuhr, wenn er nicht auf dem Downhill- oder Enduro-Bike saß. Die Trails hier waren so ganz anders als die in Tempio: schnell und technisch, aber mit etwas Schwung bekam man einen richtigen Flow und konnte auch alle Sprünge klären. Martin und Fy waren begeistert! Nachdem wir den ganzen Tag über spitze Steine geballert waren, genehmigten wir uns am Abend noch ein fürstliches Mal und freuten uns auf den nächsten Tag: da waren wir im Osten der Insel unterwegs und man hatte uns schon vorgewarnt, dass hier mit die besten Trails zu finden wären!

Gesagt getan: knapp 90 Minuten Fahrt später kamen wir in Siniscola an, warfen unsere Bikes auf das Transportvehikel und ließen uns zum Trailhead fahren. Die letzten Tage steckten uns gut in den Knochen, also waren wir froh, dass unsere Guides uns die Strecke als flockig verkauften. Auch hier waren wir auf Trails unterwegs, die zuvor einem Enduro-Rennen gedient hatten – Wahnsinn, was auf dieser kleinen Insel los ist! Die Trails waren schnell, eng und fordernd, ohne wild zu sein. Durch dunkle Wälder und feuchte Schluchten, hinaus ins herrlich gleißende Sonnenlicht surften wir den Vormittag von Trail zu Trail, bis wir mit dem Auto auf die andere Talseite zum dortigen Gipfel aufstiegen. Dort stärkten wir uns an einer der tausend Quellen, dann ging es bergab. Über gebrochenen Marmor (oder Granit, wir sind keine Geologen) und steile Hänge, als würden wir mit Vollgas durch einen englischen Schlossgarten krachen! Auch hier galt: höchste Konzentration, denn die Steine waren so unnachgiebig wie Churchills Politik und ein Sturz würde hier mehr als nur Kopfschmerzen bereiten. Trotzdem waren die Trails der Hit und als wir die ehemalige Downhillstrecke hinter uns hatten, stand uns ein breites Grinsen auf dem Gesicht. Sowas kann also Sardinien! Gut zu wissen! Mit einem guten Gefühl, was Story und Reise anging, fuhren wir wieder zurück nach Olbia, um uns für den letzten Tag zu stärken. Der weckte uns früh, denn bevor wir aufs Bike kamen, standen erst mal zwei Stunden Autofahrt nach Alghero auf der Westseite der Insel an. Dort trafen wir einen der Guides aus Tempio wieder, der uns mit einem Deutschen zusammen die Gegend zeigen wollte. Zuerst fuhren wir in einen Nationalpark, wo wir, nach einem kurzen Esel-streichel-Stopp, am nächsten Gipfel ankamen und einen ziemlich verblockten, aber spaßigen Wanderweg hinunter brachen. Auch hier gilt: Radfahrer und Wanderer teilen sich die Wege, also ist entsprechende Vorsicht angesagt. Spaß machte es aber allemal und wir waren gespannt, was die nächste Strecke für uns bereit hielt.

Eine weitere abenteuerliche Shuttlefahrt später standen wir an einer Radarstation und ließen uns sagen, dass nun die Downhillstrecke der Gegend vor uns lag. Fy wünschte sich seinen Fullface herbei, was natürlich nichts half. Aber die Strecke war auch so zu überstehen und machte, wenn man sich auf die Sprünge und Steinfelder einstellte, auch richtig Spaß! Wären wir sie mehrmals gefahren, hier wären einige Bestzeiten gepurzelt! Und dann waren wir auch schon am Ende angelangt: das war unser Sardinien Trailscouting! Wir durften auf den besten Trails der Nordinsel fahren, trafen super gastfreundliche Menschen und haben diese warme Mittelmeerinsel von einer erfrischend anderen Seite kennen gelernt, die uns richtig gut gefallen hat. Auch Martin von WhereTheTrailBegins.com war zufrieden, sodass wir zuversichtlich sind, bald auf der Homepage der Jungs eine entsprechende Reise wieder zu finden – vermutlich für September oder Oktober 2019, vielleicht schon früher. Schaut auf jeden Fall mal vorbei! Wir verabschiedeten uns mit Wehmut von Sardinien und starteten ins bereits erkaltende Deutschland. Doch vor allem freuten wir uns einfach, den Sommer noch etwas verlängert und eine verdammt gute Zeit gehabt zu haben!

Ihr wollt mehr Infos? Dann geht auf wherethetrailbegins.com

Fotos: Felix Hens

Gepostet am 11.01.2019 von MRM |

Ähnliche Artikel