Hausbesuch: bei Lezyne in San Luis Obispo
Während wir in unserem Wohnmobil über den Highway 101 tuckern und zu meiner linken der Pazifik, rechts die wunderbar grünen Hügel der kalifornischen Landschaft an mir vorbeiziehen, stelle ich mir die Frage, ob ich Lust, Motivation und Eier hätte, einfach hierher auszuwandern. Dem schönen Ruhrpott den Rücken kehren und ein neues Leben im Land der unbegrenzten Möglichkeiten zu starten, ganz klischeehaft vom Tellerwäscher zum Millionär. Ob das etwas für mich ist, wage ich zu bezweifeln. Ziemlich genau so machte es aber der Boss von Lezyne, Micky Kozuscheck, dessen Company heute unser Ziel ist: San Luis Obispo, wir kommen.
Tatsächlich begleiten mich Micky’s Machenschaften schon beinahe mein ganzes „Bikerleben“ lang. Es begann damals, als Downhill cool wurde, ich ein 19-jähriges Race-Kid war und langsam aber sicher Menschen auf die Idee kamen, Teile zu bauen, die nicht nur den Cross Country Einsatz überlebten und trotzdem erschwinglich waren. Ich wohnte damals in Bochum und begab mich regelmäßig, rund einmal in der Woche, eine Stadt weiter nach Witten. Dort traf ich mich mit mehreren Biker-Kumpels bei Dirk, einem kleinen, freundlichen Mann, der im Keller eines Einfamilienhauses das Lager einer aufstrebenden Komponentenfirma namens Truvativ verwaltete (und ganz nebenbei noch rund 1000 andere Jobs erledigte) und der uns ab und an Teile zum Testen spendierte, die auf wundersame Namen wie „Holzfeller“ und „Hussefelt“ hörten. Wir fuhren gemeinsam Rad, bestellten hinterher Pizza und freuten uns, wenn es mal wieder Neues von Truvativ gab. Und wir hatten keine Ahnung, wer oder was hinter dieser Marke steckte und wohin das alles führen würde. Zu diesem Zeitpunkt wohnte Firmengründer Micky Kozucheck schon lange nicht mehr in seinem Elternhaus in Witten, sondern im sonnigen Kalifornien, in das er vor geraumer Zeit ausgewandert war. Sein guter Freund Dirk kümmerte sich „zuhause“ um den deutschen und europäischen Markt. Micky ist ein Energiebündel. Er war professioneller Triathlet und hatte vor Truvativ bereits eine Fahrradmarke namens Maxcycles aus dem Boden gestampft. Und nun wagte er sich mit einer Komponenten Company in heiß umkämpftes Gewässer – eine echte Herausforderung, die von Erfolg gekrönt wurde: 2004 sorgte er mit einem millionenschweren Deal für einen Paukenschlag in der Fahrradindustrie, als er Truvativ an SRAM verkaufte.
Ganz kurz wurde es etwas ruhig um den lautstarken Ruhrpott-Ami, der sich eine kleine Auszeit gönnte, um sich dann mit voller Energie der nächsten Aufgabe zu widmen. Er begann wieder bei null und wieder in einem Marktsegment, dass nicht darauf gewartet hatte, vom deutschen Entrepreneur neu erfunden zu werden. „Lezyne“ sollte sein neues Baby heißen, und die ersten Produkte waren Minitools und Pumpen. Dass Lezyne 2016 seinen zehnjährigen Geburtstag feiern würde, hätte damals vielleicht nicht jeder gedacht. Doch auch diese Vision wurde Wirklichkeit. Heute hat Lezyne eine komplette Range an Bike-Zubehör im Programm, von Tools über Minipumpen, Standpumpen, LED-Beleuchtung und neuerdings auch GPS-Fahrradcomputer. Irgendwie habe ich all diese Infos über Lezyne auf dem Schirm. Dennoch habe ich keine Vorstellung, wo Lezyne herkommt, wie die Firma aussieht, wie viele Menschen dort arbeiten und in was für eine Landschaft San Luis Obispo eingebettet ist. Lauter Fragen, die sich in den nächsten Stunden klären sollen.
Doch zunächst gilt es, unseren Camper zu parken. Im Montana de Oro State Park soll sich ein wunderschöner Campingplatz befinden, direkt am Pazifik und nur rund 20 Minuten vom Lezyne Headquarter entfernt. Jennifer von Lezyne hat uns all diese Informationen herausgesucht samt jeder Menge toller Tipps für einen schönen Aufenthalt. Als der voluminöse Motor unseres Campers endlich mit einem letzten, tiefen Blubbern verstummt, werden wir auch schon von Dillon in Empfang genommen, der uns am Campingplatz zu einer kleinen Begrüßungstour abholt. Also schnell die Räder raus, den Helm auf, und ab geht’s auf Erkundungstour. Die Trails sind sandig und trocken, und ziemlich sicher wartet im eher monotonen Gebüsch um uns herum die ein oder andere Klapperschlange auf ein leckeres Häppchen. Im krassen Kontrast dazu der blaue Pazifik mit seinen schroffen Felsen und weiß brechenden Wellen. Und auch, wenn es hier normalerweise eher braun, statt grün ist, muss ich sagen: ein schönes Fleckchen Erde, das sich Exil-Pottler Micky hier als Wahlheimat auserkoren hat.
Nachdem unser Sitzfleisch von der langen Anfahrt wieder etwas aufgelockert ist, steigen wir vom Rad in Dillons PKW um und lassen uns von ihm in Richtung Lezyne Headquarter chauffieren. San Luis Obispo ist eine Kleinstadt mit rund 45.000 Einwohnern, viele davon sind Studenten an der hier ansässigen Universität. Am Rande der Stadt liegt ein kleines, typisch amerikanisches Industriegebiet mit diversen Hallenkomplexen, die von den unterschiedlichsten Firmen angemietet sind. Große Namensschilder an den Einfahrten sind meist die einzigen Hinweise darauf, was sich hinter den ansonsten eher anonymen Fassaden verbirgt. Dann endlich das Schild, auf dem mehr als einmal der Name „Lezyne“ auftaucht. Dillon erklärt uns, dass Lezyne bereits kurz nach seiner Gründung in diesen Komplex einzog, anfangs aber nur einen Bruchteil der heute genutzten Fläche beanspruchte. Nach und nach kamen Gebäudeteile dazu, so dass heute fast alle „Slots“ der Hinweistafel am Eingang mit Lezyne besetzt sind. Wir parken neben einem wenig dezenten, knallroten Porsche mit dem Nummernschild „Lezyne 1“. „Was meint ihr, wem der gehört?“ fragt uns Dillon, der im Übrigen von Beginn an, also seit mehr als zehn Jahren, dabei ist. Da ich Micky nie als sonderlich zurückhaltenden, bescheidenen Menschen kennengelernt habe, ist klar: Hier parkt das Auto vom Boss.
Wir bekommen eine Führung durch die Firma. Wir sehen stylish eingerichtete Büros, große Meetingräume, bis oben hin vollgepackte Lagerräume und das „Entwicklungszentrum“, in dem Ingenieure an neuen Produkten tüfteln und das so geheim ist, dass ich sofort eliminiert werden müsste, wenn ich hier über Details berichten würde. Was ich aber sagen kann ist: Darin geht es wirklich spannend zu. Echte Nerds programmieren dort elektronische LED-Steuerungen oder GPS-Navi-Apps. Mir ein absolutes Mysterium, ihnen macht es aber offenkundig sehr viel Spaß. Rund 25 Mitarbeiter hat Lezyne hier vor Ort, wo vor allem die Entwicklung, der Vertrieb und das Marketing gesteuert werden. Die Produktion selbst hingegen findet in Taiwan statt, wo im eigenen Werk mehr als 150 Mitarbeiter beschäftigt sind.
Hier sehen wir heute kaum Mitarbeiter. Der Boss selbst macht Urlaub (was ihn nicht davon abhalten ließ, uns zum abendlichen Dinner in sein Privathaus zu laden), und die meisten anderen sind schon auf dem Weg zum Sea Otter Classic Festival. Zum Abschluss unserer Tour zeigt uns Dillon noch eine der wichtigsten Anschaffungen – die riesige Heavy-Metal-Kaffeemaschine, die nur wenig später eine deliziöse Kostprobe ihres Schaffens für uns ausspuckt.
Den Abend verbringen wir im privaten Wohnhaus (und dem dazugehörigen Garten) von Lezyne Boss Micky Kozuscheck. Eine große Ehre und der Beweis, dass der American Dream funktionieren kann, wenn man mit Mut, Überzeugung, guten Ideen und einer tollen Crew „Engineered Design“ lebt. Auch wenn Micky uns beteuert, dass dieses Haus nach seiner Scheidung eher die bescheidene Version des amerikanischen Traumes ist, sind wir uns sicher, dass es sich hier leben lässt. Einige Lezyne Mitarbeiter sind hier, und Mickys Frau sowie Jennifer haben ein tolles Dinner gezaubert, dass wir bis spätabends genießen und uns dabei über Fahrradteile, die weltpolitische Entwicklung und amerikanische Präsidenten unterhalten. Danke Micky, danke Dillon, danke Jennifer – danke Lezyne für spannende Einblicke und einen tollen Tag in Kalifornien!
Fotos: Martin Donat
Gepostet am 05.07.2017 von Martin Donat |